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Max Klüver:
Es war nicht Hitlers Krieg
Neues aus dem
britischen Staatsarchiv
Die bisherigen Darstellungen zur Frage der Kriegsschuld sind zu einem großen Teil mit
der
Danzigfrage beschäftigt. Das war insofern berechtigt, als
sich an ihr der Kriegsausbruch entzündet hatte. Würden wir aber Danzig als den
entscheidenden Anlaß nehmen, würden wir zu kurz treten. Über Danzig
allein
hätte sich vielleicht ein englisch-deutscher Kompromiß, vor allem wegen Hitlers
Bereitschaft dazu, erzielen lassen. Er hätte die polnische Unabhängigkeit und
britische
Interessen nicht berühren dürfen. Ohne die britische Rückendeckung
hätte
auch Polen zustimmen müssen.
Den Briten ging es aber nur vordergründig um Danzig. Es gehörte zur traditionellen
britischen Europapolitik, das Entstehen einer dominierenden Macht auf dem Kontinent zu
verhindern oder durch eine Kombination von Mächten auszubalancieren. Seit der
Entstehung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 ist Deutschland zum Hauptgegner Englands
geworden, den man glaubte, durch Versailles ausgeschaltet zu haben.
Seit 1933 meinten die Briten, in Deutschland erneut den Gegner gefunden zu haben. Es kam zu
der Entscheidung des im November 1933 gegründeten "Defence Requirement
Committee",
daß das Deutsche Reich als künftiger potentieller Gegner anzusehen sei. Diese
Entscheidung hat die britische Politik bis zum Kriegsausbruch vor allem in der britischen
Rüstungspolitik (mit)bestimmt.
Es kamen aber andere wichtige Faktoren hinzu. Da muß vor allem die
nationalsozialistische
Wirtschaftspolitik genannt werden, sowie die Autarkiepolitik mit ihrer Herauslösung
Deutschlands aus der Freihandelspolitik, welche die britische Vorherrschaft im 19. Jahrhundert
begründet hatte. Die Fernwirkung der nationalsozialistischen Sozialpolitik waren nur ein
Teil der den Briten verhaßten nationalsozialistischen Weltanschauung.
Der bis zur Bigotterie gottesfürchtige Lord Halifax, der als Außenminister die
britische
Außenpolitik stärker beeinflußt hat als sein Premierminister Chamberlain, ist
nicht erst durch "München" oder "Prag" zu seiner deutschfeindlichen Einstellung
gekommen. Sein Ziel war unabhängig von einzelnen Ereignissen die Vernichtung des
Nationalsozialismus, "the destruction of Nazism", wie er es in der Kabinettssitzung vom 25.
September 1938 (also vor "München") ausführte.
Er sah im Nationalsozialismus eine Bedrohung der christlichen Zivilisation, die nicht nur durch
die Verfolgung der Juden in Deutschland, sondern vielmehr durch die der christlichen Kirchen
erwiesen war. Er war bereit, die große Herausforderung, die für ihn der "Nazism"
für
die geistige und moralische Integrität (spiritual and moral integrity) darstellte,
aufzunehmen.
Seiner Natur und Erfahrung nach war für ihn der einzige erträgliche Krieg ein
Heiliger
Krieg, "a Holy War" (Newman, Simon, "March 1939, The British Guarantee to Poland").
Weniger als sein einflußreicher Außenminister Halifax war der britische
Ministerpräsident, Chamberlain, durch religiöse Motive bestimmt. Als Liberaler,
wenn auch der
konservativen Partei angehörend, war ihm jedes autoritäre System verhaßt,
und
eines seiner Hauptziele war "to pull down the bully" (den Tyrannen niederzureißen), wie
er
es einmal ausdrückte. Und auch dadurch war er zum unerbittlichen Gegner Deutschlands
geworden, der jede zum Ausgleich führende Verhandlung ablehnte. Daß er
ungeduldig
auf den Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit Deutschland wartete, beweist seine Anfrage vom
Mai 1938 an das Supply Board, das spätere Rüstungsministerium, also vor
"München" und "Prag". Er wollte wissen, wann England in der Lage wäre, mit
Deutschland unter annähernd gleichen Bedingungen zu kämpfen. "In a year", war
die
Antwort. Und 15 Monate später erklärte England den Krieg.
Eigentlich hätte er die Frage nicht zu stellen brauchen. Er mußte aus dem
Verteidigungs-Weißbuch von 1935 als damaliger Schatzkanzler wissen, daß die
britischen Streitkräfte ihren Höchststand 1938/39 erreichen sollten. Seine so viel
gelobte "Appeasement"-Politik sollte nur dem Zweck dienen, die britische Position in Europa zu
stabilisieren und Zeit zu gewinnen, bis Großbritannien ausreichend militärische
Stärke gewonnen haben würde, um Deutschland mit Aussicht auf Erfolg
entgegentreten zu können.
Man konnte Hitler nicht trauen, war die beliebte Ausrede der Briten für ihre
Verweigerungspolitik. Allerdings hörte man dann auf, Politik zu treiben, und es bleibt nur
die bewaffnete Auseinandersetzung.
Die wollte Hitler nicht. Denn er war nicht überzeugt von der Unvereinbarlichkeit
(irreconcilability) der Zielsetzungen, und einen "Heiligen Krieg", "a Holy War", wollte er schon
gar nicht führen.
Es war nicht Hitlers Krieg!
(Buchauszug)
(195 S., 15 x 21 cm, kartoniert)
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